The Rolling Stones

Die (offiziellen) Platten:
1964-65 + 1966-67 + 1968-71 + Exile 1972 + 1973-78 + 1980-86 + 1989-heute + Live-Platten
 

Die Comeback-Platten (1989-heute)
Nachdem Keith und Mick sich Ende 1988 versöhnt hatten und das gemeinsame Songschreiben im April '89 noch funktionierte (Keith: "Drei Songs in vierzehn Tagen, ist doch nicht schlecht für'n Haufen alter Säcke!"), präsentierten die Stones - von ein paar wenigen befürchtet, dafür aber von vielen heiß erwartet - mit Steel Wheels ihre auf Eddy Grant's Insel aufgenommene Comebackplatte.
Und bereits Tags drauf startete die 1989/90er Welttournee, über die wohl auch die meisten Fans geglaubt hatten, es sei nun wirklich die allerletzte Konzertreise - tja, denkste...
Steel Wheels (1989)
Kritiker und Fans sind überrascht, wie die Stones - obgleich zeitgemäß produziert - doch so klingen, wie sie klingen müssen: wie die Rolling Stones nämlich. Die Platte erhält viel angebrachtes Lob, doch übertreiben einige Kritiker auch mit "der besten Platte seit Exile On Main St..." usw.
Handwerklich gibt es nichts auszusetzen, dennoch sind Jagger / Richards auch erkennbar in Richtung sicher gegangen, so etwa in den Rockern Sad, Sad, Sad, Terryfying oder Rock And A Hard Place. Die Single Mixed Emotions  - böse Ohren wollten "Mick's Demotion" gehört haben - ist guter Mainstream, leider wurden die Live-Qualitäten auf den Tourneen kaum getestet. Mit Continental Drift zeigen die Rolling Stones erneut ihre exotische Seite: Keith spielt bicylce und begleitet die bereits von Brian Jones zwanzig Jahre zuvor entdeckten Jajouka-Musiker.
Mick bekommt seine Ballade (Almost Hear You Sigh), Keith darf gleich zweimal an die Vocals (Can't Be Seen und das wunderschön-sentimentale Slipping Away) - und alle sind zufrieden.
Bewertung:

Voodoo Lounge (1994)
Gegenüber dem Vorgänger fällt Voodoo Lounge kaum zurück, bringt aber leider auch keinen Fortschritt. Bill Wyman, der irgendwann zwischen 1991 und 1993 seinen Hut genommen hatte, wurde durch Darryl Jones (vorher u.a. Miles Davis und Sting) ersetzt; der Bassist wird allerdings nicht als 'echtes' Bandmitglied, sondern einzig als Studio- und Tourbegleiter angesehen.
Die soliden Rock-Stücke schaffen's zum Teil sogar dauerhaft ins Live-Programm aufgenommen zu werden (Love Is Strong - zugleich die Single -, You Got Me Rocking und I Go Wild). Keith findet immer mehr Gefallen an den für ihn typischen, stets auch autobiographischen Balladen (The Worst und Thru And Thru) und Jagger schmachtet wie ein verknallter 17jähriger auf Out Of Tears.
Textlich ragt das vom Jugoslawien-Krieg beeinflußte Blinded By Rainbows heraus ("... did You ever feel the blast, as the Semtex-bomb goes off ... did You ever kiss the child, who just saw his father shot?"). Der schmierige Pop-Song Sweethearts Together hingegen ist einfach nur völlig überflüssig - das Schlager-Liedchen wurde als gerechte Strafe wenig später als Hintergrundmusik in einer dieser unsäglichen Strand & Sonne-Vorabendserien des ZDF eingesetzt...
Bewertung:

 

Stripped (1995)
Teils Live, teils 'unplugged' enthält Stripped eine Mixtur aus altem, teils sogar uraltem Material, ist gleichzeitig aber keineswegs ein 'Best Of': Wer hätte sich auch noch an The Spider And The Fly (1965) oder Little Baby (Willie Dixon, 1961) erinnern können?
Stripped stellt vielmehr als eigenständige Platte ein Konzentrat aus nunmehr 32 Jahren Rolling Stones dar.
Neben dem auf der '95er Europa-Tour ins Live-Programm aufgenommenen Bob Dylan-Stück Like A Rolling Stone (zugleich die Hit-Single), finden sich Stones-Klassiker in Acoustic-Versionen (Angie, Wild Horses, Let It Bleed, Dead Flowers, Sweet Virginia), Neu-Arrangements (Street Fighting Man und der Tour-Opener Not Fade Away) neben Variationen bekannter Soul- bzw. Blues-Themen (Shine A Light und Love In Vain).
Ganz sicher paßt hier der Vergleich zu Eric Clapton's Meisterstück unplugged; innerhalb des Stones-Opus findet sich Stripped bei mir jedenfalls gleich hinter Exile, Beggar's Banquet und Some Girls eingeordnet - die Platte ist einfach pures Hörvernügen!
Bewertung:

Bridges To Babylon (1997)
"Ja! Wow! Endlich!" - Bereits beim ersten Anhören schlich sich bei mir der Verdacht ein, daß die Stones hier einen wirklichen Klassiker aus der Taufe gehoben hatten. Ein gereiftes Alters- und zugleich Meisterwerk.
Parallelen zu Exile On Main St sind hier - ob beabsichtigt oder nicht -  augenfällig: Gleich der Opener Flip The Switch geht ab wie ein Zäpfchen (und erinnert an Rocks Off von '72) und sogar die Nummer-Sicher-Single Anybody Seen My Baby gefällt auch auf Dauer (obwohl sich mit Already Over Me und Always Suffering bessere - weil souligere - Balladen auf dem Album befinden). Dröhnen läßt Keith es vor allem auf Low Down und Too Tight und er darf auch gleich dreimal ans Mikro: im Reggea-Pop You Don't Have To Mean It  sowie den abschließenden Balladen Thief In The Night und How Can I Stop (getreu dem Motto: "Wer - bitteschön - soll denn hinter MIR das Licht ausmachen?!").
Überrascht hat mich persönlich vor allem Mick Jagger: Neben den ruhigeren Stücken glänzt er gesanglich vor allem auf Out Of Control und läßt etwa in Might As Well Get Juiced oder Gunface erkennen, wie 'alte Herren' auch im dritten Jahrtausend noch zeitgemäß klingen können, ohne sich selbst untreu zu werden.
Der absolute Ober-Hammer auf Bridges ist und bleibt aber Saint Of Me, das bei mir schon nach dem dritten Hören auf einer Stufe mit Sympathy For The Devil eingeordnet wurde: Ein schlichtweg perfekter Stones-Song mit gekonnten Wechseln zwischen ruhigen und powernden Abschnitten, einem klasse Text und - obwohl ohne Keith eingespielt - toller Instrumentierung. Vor allem in den Konzerten begeisterte der Song: Sein vom Publikum begeistert aufgenommener und minutenlang weitergesungener Refrain mußte von der Band stets quasi-gewaltsam abgebrochen werden - "I said Yeah! Oh Yeah! You never make a Saint of me!"
Bewertung (... und noch 'nen halben Punkt im Sinn):

40 Licks (2002)
Die Doppel-CD zur gleichnamigen 2002/2003er Tournee ist eine mit vier neuen Titeln (als Kaufanreiz) aufgepeppte 'Greatest Hits'-Sammlung in digital-remastered Qualität. Mit 36 alten und vier neuen Stücken sind die Scheiben schlichtweg randvoll und bieten mehr als 155 Minuten allerfeinste Rockmusik. Hinsichtlich der schwierigen Aufgabenstellung "40 Jahre Stones auf zwei CDs'' kann 40 Licks als absolut gelungen und - soweit überhaupt möglich - komplett angesehen werden (obgleich sicher jeder halbwegs taugliche Stones-Fan den ein oder anderen Titel vermissen wird oder vorhandene Stücke austauschen möchte - und worauf die nicht chronologische Reihenfolge der Tracks beruht, wird wohl ein ewiges Geheimnis der Beteiligten bleiben....).
Das 24-seitige Booklet ist reichlich bebildert und enthält neben detaillierten Angaben zu den Tracks (Begleitmusiker etc.) noch eine in Superlativen schwelgende Lobhudelei von David Wild (Rolling Stone Magazine).
Die vier neuen Stücke Don't Stop, Stealing My Heart, Keys To Your Love und Losing My Touch sind keineswegs überzeugende Lebenszeichen. Die Songs sind handwerklich sicherlich okay und Don't Stop kam live gar nicht mal übel rüber - trotzdem haben sie mich spontan aber doch eher enttäuscht. Hier gilt's wohl, auf den Rest der 2002 in Paris bzw. Toronto eingespielten Songs bzw. auf Keith' nächste Solo-Scheibe zu warten.
Bewertung:

Da man sich in dieser Kompaktheit ansonsten kaum einen umfassenderen Überblick über das Oevre der Rolling Stones verschaffen kann, sind die Scheiben trotzdem der Start schlechthin für Einsteiger. Siehe auch die Rezension von 40 Licks aus: DIE ZEIT Nr. 42 (10. Oktober 2002), S. 44:

Heute mal keine Analyse
Vierzig Songs später ist man wieder sicher, dass diese Musik nichts im Feuilleton verloren hat. Natürlich lässt sich gelehrt darüber räsonieren, warum die Rolling Stones dit und dat und warum nicht wer anders sind, doch im gleichen Moment erstickt die pure Präsenz dieser Stimme jede kluge Zelle, macht die Gewalt dieser Rhythmusschläge und Gitarrenriffs jede Analyse platt. Es gibt Momente in Kunstwerken, die man nie im Leben verstehen wird, da man immer wieder vergisst, im entscheidenden Augenblick aufzupassen, weil einem die Augen und Ohren übergehen. Oder, zweite Variante: Diese Momente sind so tief ins kollektive Unterbewusstsein abgesunken, dass nur noch der Reflex bleibt: Aaaargh! Bei den Stones trifft beides ungewöhnlich oft zusammen: das verstimmte Klavier zu Lets Spend The Night Together, der Flötensound zu Ruby Tuesday, das Gitarrenintro zu Satisfaction, das Uuh Uuuuh von Sympathy For The Devil - vierzig Beispiele - Forty Licks, man müsste jetzt mal von vorne anfangen (Virgin 724381337820).
„Die größte Rock-'n-Roll-Band der Welt" - allein für diese Schlagetot-Formel sollte man Gema-Honorar bezahlen - feiert nach vierzig Jahren Rubin-Hochzeit und veröffentlicht für jedes Jahr einen Song, zu zwei CDs gebündelt, digitalgekühlt, in nie gehörter Klangqualität, für HiFi-TÜV-Spezialisten und so weiter. Ist das die Bibel einer Generation, das Great Britain Songbook oder die Rock-Encyclopaedia einer ausgelaugten Rentnerband, die es nicht lassen kann? Um das wenigste zu sagen: Begeht man den Fehler, die Scham zu ignorieren, die uns den Blick in den Spiegel erspart, ist man verloren. Alles kommt hoch - PLAY IT LOUD! Jeder Heim-DJ kennt den peinlichen Wunsch, die Rolling Stones aufzulegen, um deutsche Wohnzimmer zum Tanzen zu bringen. Nun gibt es 155 Minuten selige Erinnerung an Exzess, Schweiß, Sex, Widerstand, ohne von solch wunderbare Fußangeln wie Prodigal Son, Waiting On A Friend, Winter oder Factory Girl irritiert zu werden.
Die Rolling Stones waren aufregender als die Bluessänger, die sie kopierten, sie sind der lebende Beweis, dass die Welt ungerecht ist, wir können sie lächerlich finden und unersättlich, seit es sie gibt dürfen wir böse Lieder singen, dem anderen gemeine Get Off Of My Cloud-Refrains ins Ohr brüllen und dazu tanzen. Klar heiß, klar kalt.
Vier neue Titel enthält der Doppelpack, drei davon fallen weder raus noch auf, den vierten - den klassischen und letzten - singt Keith Richards. der Gitarre zur Afterhours-Stimme gibt er jenen Country-Honk-Ton vor, auf den wir uns einigen werden, wenn die Rolling Stones in unser Alter kommen: Losing My Touch. „Ich stimme meine Drums nie", sagte der Schlagzeuger Charlie Watts, als es Beschwerden der Tontechniker gab. Mit dieser Einstellung komme man normalerweise nicht weit. Das nächste Mal wieder mehr Analyse.
Konrad Heidkamp


A Bigger Bang (2005)
Some things never change... - die Scheibe zur gleichnamigen Welttournee bringt mal wieder ein eher bescheidenes Cover, mal wieder ein neues Zungendesign, mal wieder zwei ruhige Keith-Song (Infamy & This place is empty) und einer eher schwächeren, balladenhaften Titel als vermeintlich radiotaugliche Single-Auskopplung (Streets of love). Vor der Veröffentlichung gab's dann noch etwas Medien-Aufruhr, weil ein gewisser George W. Bush im Stück Sweet neocon von Jagger u. a. als "crock of shit" betitelt wird.
Daß die Platte letztlich beim Hörer nachhaltig "hängenbleibt", hat vor allem damit zu tun, daß sie - unter weitestgehendem Verzicht auf Gastmusiker und Produktionsmätzchen - klingt, wie die Stones klingen müssen: roh, ungehobelt und irgendwie laut. Es scheint fast, als hätten die Stones an den letzten Scheiben von Johnny Cash und Bob Dylan Gefallen gefunden und diese auf ihre ureigene Art nachgeahmt. Als Paradebeispiel dafür soll an dieser Stelle nur das urige Back of my hands genannt werden - ein sparsamer Blues mit Mick an der Harp und ganz im Stil von Little red rooster, Love in vain und anderen Highlights der Bandhistorie. Live-Qualitäten durften 2006 leider nur Rough justice, Streets of love, Oh No Not You Again und Keith' This place is empty -
letzteres leider viel zu selten! - beweisen.
Bewertung: